Sonntag, 22. Mai 2011

Lignus: Geschichten der Welt

Lignus: Geschichten der Welt
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Kurzgeschichten

Prolog: Zugegeben, es ist ein etwas hochtrabender Titel. Man könnte fast meinen, es wäre ein Stück Geschichte der Welt. Doch das, was wir gemeinhin als Geschichte kennen, ist doch mehrheitlich die Sammlung von Daten, Kriegen und Katastrophen, Verzeichnisse von Macht und Unterdrückung oder Triumphe von Muskelprotzen und Demagogen.
Die Geschichte handelt mehr von der Bewegung der Massen, und kaum vom Maß des Einzelnen. Und doch, so meine ich, spielt sich die eigentliche Geschichte der Menschen in den Geschichten ab, die Einzelne erleben, die Geschichten, die dem Alltag seine Muster und Farben geben, die die Töne des Miteinanders gestalten, und die das Werden der kleinen Freuden, des Schmunzelns, und der manchmal skurrilen Kleinigkeiten und Absurditäten zum großen Leben wachsen lassen.
In diesem Sinne sind die kleinen Geschichten Welt-Geschichten, und wer weiß, vielleicht bringen sie uns dem eigentlichen Verständnis unserer Geschichte ein kleines Stück näher. - und, sie dürfen weiter geschrieben werden. Dieser Band ist der Beginn einer wunderbaren Sammlung.

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Der Gast

Die Frage: »Wer bin ich?« wurde oft gefragt und in der Geschichte viel behandelt. Und viele, für die diese Frage wichtig wäre, sind daran vorbei gegangen. Und die Frage »Wer bin ich?« ist zu einem »...Na! Wer bin ich denn...!« verkommen. Eines morgens erwachte ich mit diesem Satz:


»Der Gast bin ich!«Wie das schon klingt! Der Ursprung ist unüberhörbar. Man wird erinnert an die Anmaßung dieses französischen Königs, der sich mit einem wesentlichen Gestirn unserer Galaxie verwechselte. Sie wissen schon, dieser Sonnenkönig, der allein »Der Staat« sein wollte. Aber was ist schon ein entsetzlich reicher Mann mit ein paar Lakaien unter einem hungernden Volk? Ein Staat? Wohl kaum. Ein Maßstab, ein Vorbild? Noch weniger. Am ehesten ein Irrtum. Von Seiten der Armen ist der Irrtum heute klar ersichtlich, aus dem Blickwinkel der Reichen ist es wohl kein Irrtum, sondern eher etwas Erstrebenswertes. Das führt uns zu den großen, jedoch weniger erhabenen, Irrtümern auf dieser Welt. Sehen wir einmal von dem soeben zitierten König und seinesgleichen ab, und begeben uns auf die inzwischen so liebgewonnenen Felder der Demokratie. Schauen wir einmal zwischen die Zeilen bekannter Phrasen, wie sie heute global herausposaunt werden, und dem Gerede von Gleichheit und so weiter. Seit der Zeit der frühen Griechen, die ja für unser Staatswesen so bahnbrechend waren mit der Erfindung der Demokratie, war der Maßstab, das Vorbild, der ›Primus inter Pares‹. Aber was ist ein ›Primus‹, der keine ›Pares‹ duldet? Genauer betrachtet, wurden die ›Pares‹ - die Gleichen - schon geduldet, aber... der ›Primus‹ wollte nicht unter Gleichen sein, er war über ihnen. Das ging ganz schnell. Da konnte es soviel Gleiche geben, wie man will, Hauptsache, sie sind weit genug unten, und - solange sie Steuern zahlen, je mehr ›Gleiche‹ desto besser. ›Der Staat bin ich‹ heißt am Ende ›Die Kasse ist mein‹! Hier bekommt ein Irrtum bereits eine gewisse Durchsichtigkeit. Die Dinge beim Namen nennen ist immer hilfreich. Ich meine, bei ihrem eigentlichen. Erst dann kann man, wie Goethe so schön sagt, ›das Wesen aus dem Namen lesen‹. Darum finde ich die Namen so wichtig, ich meine, die richtigen Namen. Was hat das Ganze nun mit dem Anfang hier zu tun, mit dem Gast? Es ist die Frage des Blickwinkels, der sich aus dem Namen ergibt. Gebe ich dem Primus den Namen - und damit auch den Status - des Gastes, so verändert sich sein Stellenwert gewaltig. Sehe ich die ›Pares‹ ebenfalls als Gäste, so bekommen wir ein total neues Bild. Ich finde diese Namensgebung sehr treffend.
Das Erscheinen des Menschen auf diesem Planeten untermauert dieses Bild: Wir erscheinen hier, bleiben ein paar Jahrzehnte, und gehen wieder: Das Bild des Gastes. Sei auch das Woher und Wohin ungeklärt, das Szenario des Gastes bleibt. So betrachtet, werden Hierarchien auf einmal brüchig, Machtverhältnisse geraten in Auflösung. Vielleicht beginnt sich sogar Macchiavelli ratlos am Kopf zu kratzen... Wie mancher ›Primus‹ wird uns da, sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart, als ungebetener Gast auffallen. Und wie mancher Gast hat schon das Buffet geplündert, und all die wunderbaren Lachsbrötchen in seinem Keller gebunkert, obwohl doch alle hätten davon satt werden können. Ja, wie es aussieht ist unser Gastgeber, nennen wir ihn einfach einmal ›Erde‹, im laufe der Menschheitsgeschichte ganz schön strapaziert worden, ganz zu schweigen von den vielen Gästen, die durch die Drängeleien einiger weniger auf den Platz der Zaungäste verwiesen worden sind. Da ist es doch nicht verfrüht, nach den vielen Jahrtausenden unserer Geschichte, das Verhalten der Gäste zu überdenken. Das sei nichts Neues? Das mag sein. Der Gedanke war schon da. Aber die Umsetzung scheint noch nicht so richtig geklappt zu haben. Der Gast muß sich seiner klaren Konturen erst wieder bewußt werden. Hier setzt die entscheidende Frage: »Wer bin ich?« an. Und die Antwort, im Bewußtsein erwacht, klärt die Konturen: »Der Gast bin ich.«